Eigentlich liebt sie die Nordseeküste, das Meer, die Weite, die Salzwiesen und Vögel, stammt sie doch selbst von einer Nordseeinsel und verbringt ihre Freizeit am liebsten auf der Hallig Oland.
Diesmal hat es Julia Pasinski nach Lüneburg verschlagen. Als Stipendiatin durfte sie drei Monate im Herzen der Stadt, im Rote-Hahn-Stift leben. Nicht dass die Wahl-Hamburgerin kein Gespür fürs Städtische hätte, aber dennoch war das Malen in der Stadt eine neue Erfahrung für die Künstlerin. Und das Leben im Künstlerhaus bot allein schon genug Inspiration: Mitten in der Stadt, sodass künstlerische Erkundungen zu Fuß möglich waren, und doch still und voller Muße, sodass sie sich beinahe wie auf einer Insel fühlte. Einer künstlerischen Insel, denn hier fand sie tatsächlich neue Impulse, mehr Spontaneität, mehr Mut, neue Motivwege zu gehen – und sich dennoch treu zu bleiben, nämlich ihrer Liebe zur realistischen Malerei.
Und so zog Julia Pasinski durch die Straßen und Gassen von Lüneburg, studierte, skizzierte und fotografierte aus unterschiedlichen und vielfältigen Perspektiven Bekanntes und Unbekanntes. Im Atelier komponierte und arrangierte sie dann die gefundenen Motive zu einem Bild. Nie in Gesamtansichten eines Gebäudes oder Denkmals, immer in Ausschnitten, ungewohnten Ansichten oder isoliert von ihrem Originalhintergrund.
Dabei blieb sie stets realistisch, denn was sie mit Acryl, Öl oder Aquarell zu Papier brachte, hat durchaus Wiedererkennungswert, aber dennoch hat sie manche der Motive gewissermaßen „verfremdet“. Denn reine Architektur- und Gesellschaftsstudien wie vor dem Rathaus und am Luna-Brunnen waren ihr nicht genug. Und so hat sie die Natur ins Spiel gebracht: Hier tummeln sich Spatzen, Eisvögel, Turmfalken, Blaumeisen, Tauben, Stieglitz – alle in Lüneburg gesehen, aber nicht zwingend an dem Standort, an dem sie in Pasinskis Bildern auftauchen.
Und plötzlich erwacht die Stadt zu neuem Leben. Schweigende Skulpturen, Brunnenfiguren oder Denkmale werden lebendig. Und wenn dem Sülfmeister eine Amsel auf dem Kopf sitzt oder eine Gebirgsstelze lässig auf dem Arm von Mark Twain thront oder gar passend zum Sprichwort die Spatzen sich auf der Kanone vergnügen, dann muss man als Betrachter nicht nur schmunzeln, sondern erfreut sich auch daran, wie Stadt und Natur so harmonisch zusammenfinden. Dabei hat Julia Pasinski die Vogelarten natürlich durchaus hintersinnig mit den jeweiligen Standorten verbunden. Der Skulptur vor dem Behördenzentrum sind vielleicht nicht zufällig Elstern zugeflogen, und die Singdrossel singt ihr Loblied auf den „Retter des Kalkbergs“ Eduard Schlöbcke. Und wie der alte Lastkran im Wasserviertel ist auch der Eisvogel zu einer Rarität geworden.
Abgerundet wird der künstlerische Rundgang durch Lüneburg durch einen Aspekt, der in der Salz- und Stintstadt nicht fehlen darf: die typischen Boote und Schiffe wie die Solten Deern, Salzewer und Saltprahm, die gleich mehrmals in unterschiedlichen Techniken so lebendig porträtiert wurden, als lägen sie abfahrbereit, um sie mit Salz zu beladen oder mit den Fischer hinaus zum Stintfang zu ziehen.
Julia Pasinski ist es gelungen, der Stadt Lüneburg ein neues Gesicht zu verleihen. Nicht fotorealistisch, denn das liegt der Künstlerin fern; in ihren Lüneburg-Bildern wollte sie nicht Illustratorin sein, sondern der Stadt so etwas wie Zeitlosigkeit verleihen. Geschichte und Gegenwart gehen hier Hand in Hand. Gerade deswegen setzte sie wohl auch bevorzugt die Aquarelltechnik ein, weil sie einen Hauch von Flüchtigkeit widerspiegelt und sie als Künstlerin besser mit den Tonwerten spielen kann. Die Aquarelle haben keine festen Grenzen mehr, treten quasi aus sich selbst heraus, direkt auf den Betrachter zu, sind mal zart, mal kräftig, mal verspielt, mal nachdenklich, aber dennoch porträtieren sie unverkennbar Lüneburg – eine Stadt im Fluss zwischen gestern und heute.
Dr. Katrin Schäfer
Vorwort des begleitenden Katalogs der Stipendiatenausstellung
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